Remise! Is Anybody Home?

Projekt im Forum Schlossplatz in Aarau

Kuratiert von Sadhyo Niederberger, Petra Njezic, Roger Wirz

Gastbeitrag von Sadhyo Niederberger

Wir sind ein Kollektiv von rund zwölf Kunst- und Kulturschaffenden und beleben im Sommer 2024 den Garten des Forum Schlossplatz in Aarau. Sich fortlaufend entwickelnde Kunstprojekte, Musik, Design und Kulinarik sprechen alle Sinne an.


«Überwindung», Petra Njezic, Malerei im Aussenraum. Foto: Rachel Bühlmann

Eröffnung «Is Anybody Home», Foto: Rachel Bühlmann

Aussenmöbel, «Work in Progress» von sarnawirz, Foto: Sadhyo Niederberger

Verknüpfte Erinnerungen

Mit meinem Projekt thematisiere ich die Verbindung von Kleid, Körper und Erinnerung. Die Leute bringen ausgediente Kleider und wer Lust hat, hilft mit, diese zu verkordeln. Die entstandenen Kordeln werden dann für verschiedene weiterführende Arbeiten genutzt: für eine wachsende Installation im Raum, für Webbilder und für Porträts. Wichtig ist dabei immer auch das Gespräch mit den Besuchenden. Die Themen, die wir besprechen kreisen um Erinnerung, Mode, Textilien, Körpergefühl oder Veränderung.

Ausstellungsansicht Step Across the Border von Sadhyo Niederberger. Foto: Sadhyo Niederberger

Kunstwerke aus Kordeln und Haaren

Im Ausstellungsraum in der Remise des Forum Schlossplatz zeige ich einerseits die verschiedenen Werke aus Kordeln. In einer Vitrine sind Flechten ausgestellt, zwei Vitrinen zeigen Haare. In einer Vitrine sind die Leihgaben des Regionalmuseum Chüechlihus, in der anderen sind Haare, die die Künstlerin Esther Amrein im Laufe der Jahre gesammelt hat.

Obwohl die beiden Vitrinen auf den ersten Blick fast gleich wirken, stehen dahinter doch andere Fragestellungen, die sich über die Begleittexte erschliessen: die Haare des Regionalmuseum Chüechlihus sind von unbekannten Menschen und sollen unter anderem darum aus der Sammlung entfernt werden. Die Haare von Esther Amrein haben alle eine klare Herkunft und Geschichte. Sie interessieren die Künstlerin aber auch aus künstlerischen Gründen und dienen ihr als Inspiration für Kunstwerke.

«Step Across the Border», Ausstellungsansicht mit Vitrinen, Foto: Sadhyo Niederberger

 

Mit den Haaren, die mir das Regionalmuseum Chüechlihus als Leihgabe zur Verfügung stellt, stellen sich sofort viele Assoziationen ein. Der meistgehörte Kommentar ist wohl «Ui, so einen Zopf habe ich auch noch irgendwo!». Die Haare sind ein Türöffner zu persönlichen Gesprächen, alle sagen etwas dazu, haben eine Erinnerung oder offene Fragen. Sie lassen niemanden unbeteiligt.


Aus der Haarsammlung. Leihgabe Esther Amrein, ausgestellt in der Installation «Step Across the Border» von Sadhyo Niederberger, Foto: Sadhyo Niederberger

Haare, Zöpfe. Leihgabe Regionalmuseum Chüechlihus, ausgestellt in der Installation «Step Across the Border» von Sadhyo Niederberger, Foto: Sadhyo Niederberger

Haare als kulturelle und künstlerische Elemente

Mich faszinieren die Haare, weil sie mir die Möglichkeit geben, meiner Ausstellung eine Richtung zu geben: Die Zöpfe zeigen, dass es mir um Körper und den Umgang damit geht, sind doch Haare gleichzeitig Teile unseres Körpers und Zeugen unserer Kultur und Schönheitsideale. Mich begeistert aber auch die formale Nähe zu Textilien und zu den Kordeln. Das einzelne Haar ist, wie der Faden, Teil eines grösseren Ganzen – zu einem Zopf geflochten, sehen sich Kordel und Haar sehr ähnlich.


«Step Across the Border», Porträt einer Besucherin mit Kordel. Foto: Rachel Bühlmann

Ausstellungsansicht «Step Across the Border» von Sadhyo Niederberger. Foto: Sadhyo Niederberger

Eine Einzelne Kordel

Ein Tag der Kunst und Begegnung

Am 4. August findet um 14 Uhr ein öffentliches Gespräch statt unter dem Titel «was uns bleibt – sammeln, bewahren, transformieren». Meine Gäste sind Carmen Simon, Leitung Regionalmuseum Chüchlihus, Esther Amrein, Künstlerin und Caro Hill, Designerin. Von 11 bis 17 Uhr zeigen Hill und Morel ihre Kollektionen, die Coiffeuse Patrizia Saputo richtet sich im Freien einen einfachen Salon ein, die Fotografin Rachel Bühlmann porträtiert die Besuchenden. Um 17 Uhr Konzert Löwenzahnhonig.

Die Coiffeuse Patrizia Saputo mit dem einfachen Aussensalon, Foto: Roger Wirz

Kommentar Regionalmuseum Chüechlihus

Echthaar: Temporäre Leihgabe

Das Regionalmuseum Chüechlihus hat die Echthaare als temporäre Leihgabe für diese Ausstellung zur Verfügung gestellt. Sie stammen von einer grossen Sammelschenkung, die zusammen mit Hunderten von anderen Objekten dem Museum übergeben wurden und inzwischen Teil der Entsammlung 2024 sind. Die Leihgabe der Echthaare an das Forum Schlossplatz in Aarau fördert die Auseinandersetzung mit dem Material und seiner Herkunft zusätzlich. Mit dem Projekt von Sadhyo Niederberger und dem Kunstkollektiv können wir zusätzliche Diskussionen – unter anderem mit weiteren professionellen Kunst- und Kulturschaffenden  – anstossen.

Die Echthaare aus dem Regionalmuseum Chüechlihus befinden sich weiterhin im Prozess der Entsammlung. Die Bewerbungsphase, in der sich Interessenten für die Objekte bewerben konnten, ist abgeschlossen. Noch bis zum 11. August kann über die eingegangenen Bewerbungen abgestimmt werden. Einerseits entscheidet die Emmentaler Bevölkerung via Online-Abstimmung mit, was mit den Haaren in Zukunft geschehen soll. Andererseits wird sich der Objektrat Mitte August nochmals eingehend mit dem Sammlungsgut befassen, bevor definitiv entschieden wird, was das Museum mit den Echthaaren macht. Die sensiblen Objekte werden nicht einfach weitergegeben, sondern mit Bedacht und unter bestimmten Bedingungen aus der Sammlung entliehen und danach entsammelt. Da es sich bei Echthaar um menschliches Gewebe handelt, dessen Herkunft nicht geklärt ist, unterliegt die Entnahme dieser Kulturgüter bei uns besonderen Auflagen. 

Die Herkunft der Haare sowie die Identität der Person, der sie einst gehörten, sind unbekannt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie aus einem unproblematischen und regionalen Kontext stammen. Gleichwohl werfen sie verschiedene Fragen auf, die auch eine ethische und historische Dimension beinhalten. Weitere Informationen und Aspekte zur Auseinandersetzung gibt es hier:

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