Das Kulturgut aus dem Emmental zieht weiter

Behutsam geht Simon Schweizer, Projektleiter der Entsammlungsaktion #AltSuchtNeu, auf den markierten Besuchswegen umher. Um ihn herum lagern die Objekte, die er eigenhändig, gemeinsam mit engagierten Zivildienstleistenden, im Frühling 2022 im Dachstock des Jugendhauses in Langnau i.E. platzierte. Diese Kulturgüter betreut er nun schon seit über einem Jahr. Er kennt jedes einzelne Stück wie seine Westentasche. Jedes Objekt hielt Simon Schweizer bereits mehrfach in den Händen, recherchierte darüber, dokumentiere alle Informationen und fotografierte jedes Exemplar sorgfältig.

Bald ist es an der Zeit, die Objekte loszulassen, sie weiterzugeben. Ihnen wird nämlich ein neues Leben an einem neuen Ort ermöglicht. Im Museum selbst macht es aus verschiedenen Gründen keinen Sinn mehr, sie weiter zu bewahren und zu betreuen. Die Objekte, die entsammelt werden, seien ihm, dem Projektleiter, inzwischen ans Herz gewachsen. Doch noch mehr freue er sich darüber, dass sie ein neues Zuhause erhalten und damit wieder gesehen und gebraucht werden.

Dazu gehört unter anderem ein Schulpult, ein Schlitten, Butterfässer, Hemden, oder ein runder Hocker aus Holz mit gelochtem Sternmuster in der Sitzfläche. Für dieses Objekt erhielt das Regionalmuseum Chüechlihus sechs verschiedene Ideen zu möglichen Weiterverwendungen, u.a. von einer Familie für ihr Harmonium oder für ein Kunstprojekt.

Museumsarbeit öffentlich gemacht

Zur Aufgabe eines Museums gehört es, Objekte regelmässig aus der Sammlung zu entlassen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich und können z.B. Platz- oder Sicherheitsgründe, fehlende Informationen oder Unvollständigkeit sein. Normalerweise führt ein Museum diese Aufgabe des Entsammelns in Eigenregie durch. Beim Regionalmuseum Chüechlihus in Langnau i.E. ist es anders: Der Prozess wird der Öffentlichkeit gegenüber transparent gemacht und gemeinsam mit ihr durchgeführt. Das heisst, in einer ersten Phase konnten die Emmentaler:innen darüber abstimmen, welche Objekte aus der Sammlung weggegeben werden sollen. Gemeinsam mit einem eigens dafür gegründeten Gremium, dem Objektrat #AltSuchtNeu, wurde im April 2022 darüber entschieden. Danach konnten sich alle, die wollten, sich mit einer Idee auf das Objekt bewerben.

Wohin nun die Kulturgüter in Zukunft gehen, entscheiden Personen, die im Emmental wohnen oder heimatberechtigt sind in einer Onlineabstimmung, gemeinsam mit den Stimmen aus dem Objektrat #AltSuchtNeu. Damit wird den Objekten ein neues Leben ermöglicht.

Endspurt: bis am 14.8. abstimmen

Von Textilien, über Haushaltsgeräte, bis hin zu Schulpult, Schlitten oder ein Bandwebstuhl: Die Liste an Gegenständen, die einst im Regionalmuseum lagerte und in Zukunft an einen neuen Ort gezügelt werden, umfasst 116 Objekte. Alle Ideen zur Weiterverwendung der Kulturgüter sind auf entsammeln.ch einsehbar.

Menschen, die im Emmental wohnen sowie alle heimatberechtigten Emmentaler:innen können noch bis zum 14. August 2022 ihre Stimme abgeben und damit über die Zukunft der Museumsobjekte mitbestimmen.

Wie geht es danach weiter?

Die Resultate aus der Onlineabstimmung fliessen in den Entscheid des Objektrats #AltSuchtNeu ein, der Ende August 2022 tagt und die Schlussresultate erfasst. Die Gewinner:innen werden danach persönlich benachrichtigt. Insgesamt haben 67 Personen, Gruppen oder Institutionen Interesse an den Objekten angemeldet. Einige haben sich auf mehrere Gegenstände beworben.

Am 11. September 2022, am Chüechlihus-Sunndig, stehen die Kulturgüter dann den neuen Besitzer:innen zwischen 10-17 Uhr im Regionalmuseum zur Abholung bereit. Umrahmt wird dieser Anlass mit einem Sonderprogramm zum Thema #AltSucht neu.

Was übrig bleibt

Und was passiert mit den Objekten, die niemand erben möchte? Am Chüechlihus-Sunndig, am 11. September 2022, bauen die Besucher:innen gemeinsam mit dem Regionalmuseum Chüechlihus eine Skulptur. Diese Skulptur bleibt dem Museum als gemeinsam erschaffenes Kunst- und Kulturobjekt erhalten, das von der Emmentaler Geschichte zeugt und die Emmentaler Gegenwart verkörpert. Diese Objekte werden also in einer neuen Form wieder Teil der Museumssammlung.

Aber auch selbst die Objekte, die sich dann nicht mehr in der Sammlung befinden, werden nie ganz verschwinden: Jedes einzelne Stück wurde vom Chüechlihus-Team erfasst und dokumentiert. Darüber hinaus fand eine Auseinandersetzung mit dem Emmentaler Kulturgut statt, die Diskussionen anregte und neue Fragen hervorbrachte. Das Regionalmuseum Chüechlihus bleibt deshalb auch in Zukunft ein Ort des Austauschs und der Begegnung und freut sich auf eine weitere Durchführung des Projekts #AltSuchtNeu im nächsten Jahr 2023.

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