Wenn das Museum aufräumt
Ein Gastbeitrag aus dem Sust Museum Horgen, von Franziska Pfenninger
Wie viele Wallhölzer braucht ein Museum? Und welche sind relevant für Horgen? Fragen wie diese trieben uns Kuratorinnen und den Stiftungsrat im Sust Museum Horgen ab 2022 immer wieder um. Es ging dabei um die Bedeutung der Sammlung als Ganzes sowie derjenigen einzelner Objekte. Vor allem aber ging es um das Entsammeln. Ein Wort, das anfänglich für viel Angst und Schrecken im Museumsteam sorgte. Dieser Beitrag handelt also vom Aussortieren. Und von Wallhölzern.
Schimmel und Dubletten
Am Anfang und damit ausschlaggebend für den Entsammlungsprozess im Sust Museum Horgen stand kein Nudelholz, sondern ein Umbau und die vorangehende Räumung des gesamten Hauses. Überall waren Objekte verstaut, kein Platz wurde verschenkt. So berichtet es das Freiwilligenteam. Als ich meine Stelle als Kuratorin und Museumsleiterin am 1. März 2022 antrat, war das Haus leer und die Depots voll. Überall stapelten sich die Kisten. Zusätzliche Räume waren angemietet worden, um alles unterzubringen. Zwei historische Fahrzeuge landeten in einem Parkhaus auf einem Parkplatz.
Oberstes Ziel Anfang 2022 war, die Dauerausstellung möglichst rasch wiedereinzurichten, doch dieser Plan rückte bald in weite Ferne. Während sich in einem der Aussendepots unbemerkt Schimmel ausgebreitet hatte, musste ein anderes geräumt werden, um Kosten zu sparen. Doch wohin mit all den Sachen? Beim Sichten stellte sich rasch heraus: in der Sust erhielt alles eine Inventarnummer, auch Ausstellungsvitrinen, Zeitungsschnipsel und Bücher. Vieles ist zudem mehrfach vorhanden. Zum Beispiel die Dissertation eines bekannten Horgners: 10 Stück, Wallhölzer: 5 Stück, Gasmasken: 6 Stück. Einerseits wurden bewusst Dubletten angehäuft, andererseits wusste man offensichtlich irgendwann nicht mehr, was bereits in der Sammlung war.
Wo anfangen?
Die schiere Menge an Kisten und Objekten, der Schimmelbefall sowie der Zeitdruck überforderte uns anfänglich alle. Das verschimmelte Material – mehrheitlich Betriebsmaterial – musste weg, hier gab es keine Rettung. Stiftungsrat und Freiwilligenteam packten gemeinsam an und legten ungeplant den Grundstein für ein grosses Entsammlungsprojekt. Bald wurde klar: es braucht einen Plan für das weitere Vorgehen.
Kolleg:innen erzählten derweil von der Gesamtbestandeserfassung. Ein Wort so mächtig wie ein Berg. Durch die Erfassung des gesamten Bestandes würden Verbindungen zwischen Objekten sichtbar und man könne im Anschluss festlegen, was aus der Sammlung entlassen werden kann. Die genannten Summen für ein solches Projekt lagen irgendwo zwischen 3 und 10 Mio. Franken. Für ein kleines Haus wie unseres unvorstellbar. Also vertieften wir uns in die ethischen Richtlinien des internationalen Museumsrates und suchten nach Museen, welche bereits Erfahrung mit dem Entsammeln hatten.
Inspiration aus dem Emmental
Über das Schweizerische Nationalmuseum gelangten wir ans Bernische Historische Museum und über dieses wiederum ans Regionalmuseum Chüechlihus im Emmental. Ein Ausflug in den Kanton Bern brachte schliesslich die Wende. Die Verzweiflung schlug um in Euphorie. Die beiden Museen bekräftigten uns, auf dem richtigen Weg zu sein. Das Chüechlihus inspirierte uns schliesslich das Projekt öffentlich und partizipativ zu gestalten.
Die Sammlung des Sust Museum Horgen entstand durch Aufrufe an die Bevölkerung. Einen professionellen Kurator oder ein Sammlungskonzept gab es noch nicht. Obwohl wir Kuratorinnen Fachpersonen sind, wollen wir auch beim Aussortieren die Bevölkerung wieder miteinbeziehen.
Aus «entsammelt» im Emmental wurde deshalb «aus-sortiert» in Horgen. Und aus einem Besuch wurde eine Museumsfreundschaft.
Eine Achterbahn der Gefühle
Die anfängliche Euphorie hielt an und übertrug sich auf das gesamte Museumsteam. Bald reinigten Stiftungsräte Teekannen und das freiwillige Sammlungsteam packte Kiste um Kiste für den Transport ins Museum. Die Sammlungskuratorin fotografierte, recherchierte und dokumentierte ein Jahr lang, was das Zeug hält. Ihre Anstellung 2023 war nicht nur grosses Glück, sondern ermöglichte die Umsetzung des Projektes erst. Das Entsammeln wurde zum Gesprächsthema Nummer 1. Zwischen die Euphorie mischten sich auch immer wieder Zweifel. Dürfen wir das? Ein Blick ins Depot sagt: wir dürfen nicht nur, wir müssen. Und so verlassen die Wallhölzer die Sammlung definitiv.
«aus-sortiert»
Ein Entsammlungsprojekt
Beginn: 14. September 2024
Ende: 13. April 2025
Sust Museum Horgen
Bahnhofsstrasse 27
8810 Horgen
Öffnungszeiten
Sonntag, 14-17 Uhr